Streckenstatistik

  02.08.1996 Flensburg        0
 1. Tag 02.08.1996 Plön    149
 2. Tag 03.08.1996 Bienenbüttel    178
 3. Tag 04.08.1996 Goslar    159
 4. Tag 05.08.1996 Heiligenstadt    107
 6. Tag 06.08.1996 Neuhof    161
 7. Tag 07.08.1996 Zornheim    172
   1. Hälfte    926
 1. Tag 25.07.1997 Waldprechtsweier    178
 2. Tag 26.07.1997 Rietheim (Spaichingen)    149
 3. Tag 27.07.1997 Langenargen    108
   2. Hälfte    435 
   Gesamtstrecke 1.361
    

RADTOUR von FLENSBURG nach ZORNHEIM vom 1. August bis 7. August 1996


Vorbemerkungen

Ich hatte in meinem Radfahrerleben einen Traum. Mit dem Fahrrad wollte ich aus eigener Kraft ans Mittelmeer gelangen. Jahrelang suchte ich vergebens einen Partner zum Mitmachen. Mit zunehmenden Alter rückte der Traum immer weiter in die Ferne. Irgendwann hatte ich einmal eine Deutschlandkarte in der Hand und dachte mir so beim Anblick, das wäre ja auch eine Möglichkeit, das Heimatland einmal zu durchfahren. Von Nord nach Süd oder Ost nach West. Die Deutschland-Tour war geboren. Erneute Partnersuche wurde erforderlich. Zunächst jedoch das gleiche Spiel: Kein Interesse bei Bekannten, Sportkameraden im Verein.

Doch dann kam Stefan Schulz aus Erfurt nach Zornheim. Über den TSV und die AH-Fussballer war der Kontakt schnell hergestellt. Bald war das gemeinsame Hobby ausgemacht: R A D F A H R E N . Die Lage verbesserte sich über Nacht. Stefan hatte aus seiner früheren Heimat Thüringen häufig große Radtouren alleine unternommen. Ein Partner zeichnete sich endlich ab. Irgendwann in 1995 wurde dann das erstemal über eine Mehrtagestour gesprochen und wir waren uns spontan einig, dass sie auch unternommen werden sollte. Sie sollte der Höhepunkt in meinem 50. Lebensjahr werden. Wir entschlossen uns, die Tour in zwei Teile aufzuteilen, wobei der erste Teil die Strecke Flensburg - Zornheim umfassen sollte. Damals hatte ich zum erstenmal das sichere Gefühl, dass das Vorhaben umsetzbar ist.

Mir war klar, dass es noch ein weiter Weg war bis dahin. Ich war in 1995 wegen des 100jährigen Jubiläums des TSV überhaupt kein Rad gefahren. Deshalb hatte ich mit Anfang 1996 vorgenommen, früh mit dem Training anzufangen. Im Februar klappten dann auch die ersten Trainingsversuche mit dem Trekkingrad. Ich merkte jedoch schnell, daß es noch ein weiter Weg war bis zu der Form, die man für eine solche Tour braucht. Inzwischen hatten wir den August 1996 für die Tour festgelegt. Bald führten wir auch gemeinsame Trainingsfahrten durch. Das letzte Abschlusstraining fand dann im Juni statt: eine zweitägige Fahrt nach Nothweiler und zurück. Insbesondere die Rückfahrt war für uns beide kein Zuckerschlecken. Wir kamen ziemlich abgekämpft getrennt in Zornheim an. Ich hatte danach ziemliche Zweifel, ob die Kondition für eine solche Tour ausreichen würde.


Anfahrt (Donnerstag, 1.8.1996)

Nachmittags packe ich dann endgültig die Satteltaschen und die Lenkertasche. Ich bin überrascht, wie wenig Gepäck es ist. Letzte Kontrolle der Technik. Alles klar. Stefan kommt kurz nach 20.00 Uhr mit dem fertig gepackten Rad. Ines ein bisschen später. Zur Senkung der Nervosität wird eine Flasche Sekt geöffnet. Um 2 1.00 Uhr starten wir beide dann mit dem Rad in Richtung Mainz, Süd-Bahnhof, wo wir gegen 22.15 Uhr ankommen. Um 22.50 Uhr fährt die S-Bahn ab in Richtung Frankfurt Hauptbahnhof. Die halbe Stunde Aufenthalt dort nutzen wir für einen Imbiss im Bahnhof und einen kurzen Blick auf die Videoleinwand der gerade laufenden Olympischen Spiele in Atlanta. Um 0. 15 Uhr läuft der Zug nach Hamburg im Gleis 12 ein. Wir stellen die Räder im Gepäckwagen ganz vorne im Zug ab und nehmen die Gepäcktaschen mit in den Liegewagen im hinteren Teil des Zuges. Nach kurzem Suchen stehen wir vor dem Abteil, in dem 6 Schlafplätze in 3. Ebenen in Querrichtung vorhanden sind. Wir belegten die beiden leeren obersten Schlafplätze direkt unter dem Dach. Drei weitere Fahrgäste schlafen schon im Abteil. Ich schlafe nicht gleich ein, da ich mich erst an die fremde Umgebung gewöhnen muss: Enge im Raum, fremde Leute um einen herum, Zuggeräusche, Bahnhofsansagen und vieles andere mehr. Stefan geht es ähnlich. Aber irgendwie bin ich dann doch eingedöst und habe im Schlaf nur ein paar Bahnhofsansagen gehört. Um 6.15 Uhr erwache ich kurz vor Hamburg; ich fühle mich eigentlich gut ausgeschlafen. Ein Blick zu Stefan zeigt mir jedoch ein anderes Bild. Er sieht ganz blass aus und winkt ab. Er sagt, ihm sei schlecht und er habe Kopfschmerzen. In Hamburg Hauptbahnhof steigen wir dann aus und holen unsere Fahrräder aus dem Gepäckwagen und stehen auf dem Bahnsteig, als mir bei dem ausfahrenden Zug durch den Kopf schießt: Müssen wir nicht zum Bahnhof Altona? Der Schreck wird ausgesprochen, aber ein Blick auf die Fahrkarte zeigt, dass wir richtig sind. Wir haben Glück und entdecken auf dem gleichen Bahnsteig den Anschlusszug nach Neumünster. Stefan klagt weiter, hat keinen Hunger und ihm ist unendlich schlecht. Ich habe jedoch um so mehr Hunger und Kaffeedurst und besorge mir 2 Kännchen Kaffe und 2 Baguettes. Stefan verschwindet mehrmals auf dem WC. Ihm wird nicht besser, er tut mir leid und ich mache mir Sorgen, wie es weiter geht. In Neumünster steigen wir in einen Triebwagen nach Flensburg um, wo wir gegen 9.30 Uhr ankommen.


1. Tag (Freitag, 2.8.1996)

Wir sind am Ziel, bzw. am Anfang. Wir schieben die Räder aus dem Bahnhof und versuchen uns zu orientieren, in welche Richtung es nach Dänemark geht. Dort wollen wir unsere Tour beginnen. Flensburg ist gar nicht so flach, leicht bergauf zieht sich Ausfallstraße in Richtung Grenzübergang, den wir nach ca. 15 km erreichen. Stefan muss sogar seinen Ausweis vorzeigen. Wir machen ein Foto am Grenzschild und fahren zurück nach Flensburg.

Mir fällt ein Stein vom Herzen. Es geht aufwärts. Wir essen eine Kleinigkeit und fahren dann, teil auf Radwegen, auf der B 76 weiter in Richtung Schleswig. Das Wetter ist gut, leicht bewölkt, ca. 20 - 22 Grad C. und es weht ein leichter Nordwind, der uns ein bisschen schiebt. Die Landschaft ist jetzt total flach. Um 13.30 Uhr erreichen wir Schleswig. Die Stadt hat einen schönen Altstadtkern, in dem gerade ein Fest stattfindet. Stefan besorgt sich in einem Fahrradladen eine Sonnenbrille und eine Trinkflasche. Wir essen noch etwas und fahren weiter in Richtung Eckernförde An der Ostsee. Die Fahrräder sind optimal bepackt und fahren sich gut mit dem Gepäck. Die Stimmung steigt ständig und Stefan fühlt sich wieder gut. In Eckernförde sieht man gut die Ostsee. Wir halten uns nicht lange auf und fahren weiter Richtung Kiel. Die Einfallstraßen weisen alle Radwege aus; es ist trotzdem für ein Rennradfahrer recht mühsam, sie zu benutzen. Aber da es alle Radfahren tun, benutzen wir sie auch. Man muss in der Stadt ständig auf den Gegenverkehr aufpassen, auf abbiegende Autofahrer, auf Fußgänger, rein in die Pedale, raus aus den Pedalen, es ist schon anstrengend. Im Stadtbereich ist es schwer einen höheren Schnitt zu fahren. Im Zentrum der schlewigholsteinischen Hauptstadt suchen wir den Hafen. Dort bewundern wir eine große Ostseefähre, die gerade vor Anker hegt. Das Schiff hat riesige Ausmaße. Der Anblick und die ganze Umgebung lassen uns Inlandsbewohner spüren, dass dies hier eine andere Welt ist.

Wir halten uns aber dann wieder an unsere Welt, schwingen uns auf die Fahrräder und suchen die Ausfallstraßen nach Süden. Vorher decken wir uns noch mit Bananen und Karotten ein. Auf dem Radweg der B 76, die uns schon den ganzen Tag begleitet, fahren wir über Praetz nach Plön am See. Dort kommen wir um 19.00 Uhr abends nach 149 km an. Wir beschließen Quartier zu machen und finden auch sofort die Gaststätte "Hotel zum Hirschen", die ein Doppelzimmer frei hat. Die Räder stellen wir in einer Garage ab und die Satteltaschen gehen mit auf Zimmer. Nach dem Duschen erfolgt eine kurze Rückmeldung bei den Frauen und dann gehen wir in das griechische Lokal zum Abendessen. Der Abend klingt dann mit ein bisschen Olympiade und einer kurzen Vorbesprechung der Route des nächsten Tages aus. Ich bin auch recht müde und schlafe ganz gut ein. Spannend finde ich die Frage der Kondition des 2. Tages.

2. Tag (Samstag, 3.8.1996)

Um 6.45 Uhr klingelt der Wecker und ich erwache nach einer guten Nacht. Wir frühstücken gut und starten um 8.40 Uhr in Plön. Wir fühlen uns beide gut drauf, das Wetter ist ebenfalls super. Auf der B 76 geht es weiter in Richtung Eutin und dann weiter an die Ostsee, die wir in Haffkrug erreichen. Wir fahren dann am Strand entlang bis Timmendorfer Strand. Dort suchen wir einen Zugang zum Strand. Den finden wir dann auch, wundern uns aber sehr, daß wir einen Eintritt von DM 5,00 pro Person zahlen müssen. In Deutschland ist halt alles geregelt. Trotz des schönen Wetters sehen wir nicht viele Badende. Der Grund wird uns sofort klar, als wir ein wenig später ins Wasser gehen.. Dieses ist nämlich unheimlich kalt. Trotzdem gehen wir weiter hinein und schwimmen eine kleine Runde. Nur langsam gewöhnt sich der Körper an das kalte Wasser. Wir sind getragen von unserer Tour-Euphorie und deshalb macht uns die Kälte überhaupt nicht aus. Es ist eigentlich wunderbar: Was will man mehr Urlaub, Sport, Aktion und Baden. In Richtung Lübeck geht es dann wieder weiter. Kurz hinter Timmendorf lasse ich mir im Vogelpark Niendorf zwei RTF-Permanent-Touren-Punkte eintragen. Wir fahren nun ausschließlich auf herrlichen Radwegen, die permanent auf beiden Seiten der Bundes- und Landesstraßen entlang laufen. Das führt zu einem sicheren und entspannten Fahren.

Die Hansestadt Lübeck ist unser nächstes Ziel. Dort kommen wir gegen Mittag an. Im Laufe des Vormittags haben mich leichte Magenprobleme überfallen. Mir ist permanent leicht
schlecht und ich warte ständig auf den Leistungseinbruch. Dieser stellt sich jedoch nicht ein. Am späten Nachmittag sind die Beschwerden wieder weg. Bei der Einfahrt in den schönen Backsteinhausteil der Stadt Lübeck komme ich an einem Fußgängerüberweg nicht rechtzeitig
aus den Klickpedalen beim Anhalten. Ich lasse mich zum Schrecken vor Stefan gerade auf die Seite fallen. Es passiert nichts dabei und es kann auch gleich wieder weiter gehen. Wir be-suchen am Traveufer ein vor Anker liegendes Schiff eines 42-maligen Weltumseglers.Das Schiff ist als Museum eingerichtet und zeigt eine riesenhafte Sammlung von Kulturgegen-ständen aus aller Welt. Danach essen wir eine Kleinigkeit und machen noch ein schönes Foto vom Holsten-Tor mit der schönen Parkanlage. Dann geht es wieder in den Sattel. Entlang der B 207 fahren wir auf guten Radwegen in Richtung Mölln und Schwarzenbek. Bei gutem Wetter laufen die Räder wunderbar. Wir sind jetzt beide gut drauf und fahren locker in den Nachmittag hinein. Wir kommen durch schöne alte norddeutsche Backsteindörfer und passieren die Großstadt Hamburg ungefähr 40 km östlich. In Lauenburg stoßen wir auf die Elbe. Wir überqueren vermeintlich auf einer alten Brücke die Elbe und fahren in der Ebene weiter. Irgendwie merken wir aber, dass wir nicht richtig sind und fahren wieder zurück. Dann stellen wir fest, dass wir die Elbe gar nicht überquert haben, sondern einen Seitenarm. Dann finden wir die richtige Elbbrücke und fahren über den Strom. An einer Tankstelle stärken wir uns nochmals und fahren dann weiter in Richtung Lüneburger Heide. Durch flaches Gelände geht es teils auf Radwegen, teils auf verkehrsarmen Landstraßen Richtung Süden. Wir verfahren uns nochmals, aber dann hilft uns ein Bauer und zeigt uns den richtigen Weiterweg. Wir kommen an großen landwirtschaftlichen Höfen vorbei mit großen Weideflächen. Das ganze wird aufgelockert durch kleine Waldstücke und die ersten Heidebilder tauchen auf. Diese typische Landschaft mit den niedrigen Wacholdersträuchern und uralten Bäumen. Das Land ist total eben, ohne markanten Horizont. Man fährt und fährt und sieht jedoch keinen Zielpunkt. Bei gutem Wetter erhöht sich unsere Durchschnitts-Geschwindigkeit ständig. Wir sind in blendender Verfassung und hinterlassen Dorf um Dorf. Um kurz nach 19.00 Uhr erreichen wir Bienenbüttel an der deutschen Ferienstraße ca. 30 km südlich von Lüneburg. Wir beschließen, Quartier zu machen. Nach kurzer Suche fällt uns eine schöne Gaststätte. In diesem Haus sind keine Zimmer mehr frei, aber man empfiehlt uns das Haus Hedder ein Restaurant – Pension hundert Meter weiter. Dort werden wir aufge-nommen und erhalten eine riesige Ferienwohnung im Erdgeschoss. Die zweite Etappe wird die längste Etappe mit 178 gefah-renen Kilometern. Wir sind ganz stolz auf uns. Nach dem Duschen nehmen im Haus wir ein super Abendessen ein. Zufrieden werden noch ein paar Bierchen gemacht, ein wenig Olympiade einverleibt, um dann in den wohlverdienten Schlaf überzugehen.


3. TAG (Sonntag, 4.8.1996)

Nach einer guten Nacht und einem guten Frühstück starteten wir in Bienenbüttel um 9.00 Uhr bei sonnigem Wetter. Unser Weg führte uns direkt nach Süden in Richtung Braunschweig und dem Harz. Die Strecke verlief entlang der sehr stark befahrenen Bundesstraße Nr. 4 auf einem sehr gut ausgebauten Radweg. Dieser Radweg ist weitgehend durch Bäume und Sträucher von der Straße abgegrenzt, so dass der Verkehr fast nicht wahrgenommen wird. Dies wird mein Tag werden. Schon nach wenigen Kilometern merke ich, wie frisch ich bin. Es läuft phantastisch. Ein sanfter Rückenwind schiebt uns über den teilweise schattigen Radweg. Wir erreichen zeitweise einen Schnitt von 35 Stundenkilometern. Wir passieren Uelzen am südlichen Rand der Lüneburger Heide. Auf dem Superradweg geht es bis zum Mittag nach Gifhorn in der Nähe von Wolfburg. In einem Lokal mit Metzgerei nehmen wir ein Mittagessen ein, das für einen kanadischen Holzfäller gereicht hätte. Doch für Radfahrer war es eindeutig zu viel. Das Weiterfahren fällt furchtbar schwer. Im Norden von Braunschweig finden wir die Strecke für die Umgehung der Stadt in Richtung Wolfenbüttel. Dann enden auch bald die Radwege. Im Süden sieht man schon die Berge des Harzes. Kleinere Steigungen kündigen anderes Gelände an. Am späten Sonntagnachmittag erreichen wir den westlichen Teil des Harzes. Über ein paar langgezogene Steigungen geht es dann hinauf in Richtung Goslar. In Vienneburg, ca. 10 km vor Goslar, suchen wir uns eine Gaststätte für die Übernachtung . Die Tagesetappe mit ca 160 km ist vollendet. In einem schönen alten Bauernhaus nehmen wir uns ein Zimmer. Abends in der Kneipe lernen wir den typischen "Harzer Schmugglergruß". Man betritt die Gaststätte mit einem Rucksack voller Schmuggelsachen und klopft mit der Faust auf den ersten Tisch am Eingang. Erwidert jemand das Klopfen, ist kein Polizist oder Zöllner im Lokal und
am Eingang. Erwidert jemand das Klopfen, ist kein Polizist oder Zöllner im Lokal und man gefahrlos eintreten.

4. Tag (Montag, 5.8.1996)

Am Montag morgen starten wir bei schönem Wetter in Richtung Goslar. In meinem Tretlager machen sich Knackgeräusche bemerkbar, so dass ich mir vornehme, in der Stadt eine Werkstatt aufzusuchen. Goslar ist eine sehr schöne Stadt mit einem mittelalterlichen Stadtkern. Sie war im frühen Mittelalter Königs- und Kaisersitz des Salierkaisers Heinrich IV. Ein wunderbarer Marktplatz mit schönen Fachwerkhäusern lädt zum Verweilen ein. Wir besuchen die Kaiserpfalz und schließen uns dort einer gerade laufenden Führung an.

In einem Fahrradgeschäft lasse ich mein Tretlager nachsehen. Der junge Mann versteht jedoch nicht viel von seinem Handwerk. Ehe ich mich umsehe, wuchtet er die Tretlagerschraube mit einem pneumatischen Schrauber brutal an das Lager. Das Problem wird dadurch nicht gelöst, wie sich nach einigen Kilometern später herausstellt. Da der Defekt nicht ganz so schlimm ist fahre ich weiter. Nach Goslar geht es hinauf nach Clausthal-Zellerfeld auf ca. 800 m Höhe. Trotz Gepäck läuft es ganz gut. Die Steigungen sind akzeptabel für mich. Stefan ist natürlich lange vor mir oben. In Clausthal-Zellerfeld nehmen wir ein gutes Mittagessen ein und trinken dazu jeder 2 Bier für den Ausgleich des Flüssigkeitsverlustes. Auch am 4. Tag ist die Form gut. Wir haben uns gut aufeinander eingestellt und die Unpässlichkeiten der ersten Tage sind vorbei. Man muss sich gut verpflegen und rechtzeitig essen und genug trinken, auf regelmäßigen Stuhlgang achten und gleichmäßig fahren, dann geht es gut. Allerdings ist es während einer Tour nicht gerade einfach, die Verpflegung zu besorgen. Es hält immer wieder auf, in Supermärkten oder Tankstellen etc. einzukaufen und die Sachen zu verstauen. Nach Clausthal-Zellerfeld führt die Straße zunächst über eine Hochebene. Nach einigen Kilometern durch Wälder geht es hinab nach Osterode am südlichen Harz. Eine solche Abfahrt habe ich lange nicht mehr erlebt. Die gut ausgebaute Straße ist kerzengerade und stürzt atemberaubend in die Tiefe. Ich hatte nicht den Mut, ungebremst abzufahren. Das Gepäck schiebt natürlich noch kräftig mit. Bei ca. 80 Stundenkilometern bremste ich ab. Die Rennbahn führt direkt nach Osterode. Wir halten uns nicht auf und fahren nun über Nebenstraßen nach Süden in Richtung thüringische Grenze. Ein kräftiger Gegenwind mindert zunächst die Geschwindigkeit.
Am späten Nachmittag erreichen wir Duderstadt. Wir machen eine kleine Pause und sehen uns die wunderschöne Altstadt mit einem der ältesten Rathäuser Deutschlands an. Da Stefan Thüringer ist, machen wir einen Abstecher in seine Heimat und fahren durch den westlichsten Zipfel von Thüringen, das Eichsfeld.

Vor Heiligenstadt türmt sich ein bewaldeter Berg vor uns auf. Man sieht eine steile Straße nach oben führen. Ich erschrecke doch sehr und frage, ob wir da wirklich hinauf müssen. Wir müssen. Es sollte noch schlimmer kommen, eine nicht endenwollende Steigung mit ca. 9 % ist zu bewältigen. Stefan fährt natürlich voraus, da ist schließlich sein Gelände.Zwei drittel schaffe ich, dann muss ich absteigen und kurz aus-schnaufen, bevor es wieder mühsam weiter geht. Schließlich bin ich auch oben. Stefan beteuert, dass er diese Strecke nicht kenne und genau so überrascht sei wie ich. Ich glaube es ihm schließlich. In Thüringen fällt uns sofort auf, dass die Autofahrer viel aggressiver fahren als im Westen. Das ist die neue Freiheit nach der Wende. Man muss sich als Radfahrer darauf einstellen. Die Entschädigung für die steile Auffahrt kommt vor Heiligenstadt. Es geht genau so steil hinunter in die Stadt. In einem neu eingerichteten Lokal fragen wir nach einer 'Übernachtungsmöglichkeit. Da der Ausbau noch nicht ganz fertig sei, empfiehlt man uns eine andere Gaststätte in der Nähe. Dort finden wir eine preiswerte Unterkunft. Aus Dankbarkeit für die Empfehlung nehmen wir das Abendessen in dem neuen Lokal ein und werden dort auch nicht enttäuscht. Die 4. Etappe endet damit mit 107 km und das Gesamtkilometerkonto steht bei ca. 600 km und ungefähr Zweidrittel der Gesamtstrecke.


5. Tag (Dienstag, 6.8.1998)

Bei stahlendem Sonnenschein verlassen wir das schöne Städtchen Heiligenstadt direkt nach Süden in Richtung hessische Grenze. Die Strecke ist relativ flach und wir kommen gut voran. Im Grenzgebiet der ehemaligen DDR zeigt mir Stefan noch sichtbare Reste der Grenzsicherunganlagen, die gottlob nicht mehr gebraucht werden. Vor Bad Sooden-Allendorf passieren wir die hessische Grenze und fahren in den schönen Badeort hinein, um die Verpflegung aufzufüllen. Am späten Vormittag gelangen wir dann auf die B 27 und erleben nun einen halben Tag lang ein Kon-trastprogramm zum beschaulichen Fahrradfahren. Diese gutausgebaute Bundes-straße ist neben der Autobahn eine der Hauptstrecken nach Süden und sehr stark befahren, insbesondere mit großen Lastwagen. Da es in erreichbarer Nähe keine Ausweichmöglichkeit gibt, müssen wir diese Strecke bis Bad Hersfeld benutzen. Auf einer schnellstas-senähnlichen Strecke von rund 60 km mit 2 Fahrspuren überholen uns hunderte von Fahrzeugen. Dabei fahren insbesondere die LKW's ohne Abstand dicht an uns vorbei. Man muss den Lenker krampfhaft festhalten, damit man nicht mal versehentlich nach links ausschert. Dazu kommt der Gestank der Abgase. Nach einer Stunde brummt mir der Kopf. In der Mitte der Strecke kommt plötzlich ein Schild Kraftfahrstraße. Wir verlassen die B 27 und fahren in ein Dorf um auf der Karte eine Ausweichstrecke zu suchen. Da auf der Karte nicht viel zu sehen ist, fragen wir einen Passanten. Er meint, wir müssten wieder auf die B 27, da es nach Bad Hersfeld keine andere Möglichkeit gäbe. Also, wir todesmutig zurück auf die Kraftfahrstrecke, auf der Fahrradfahrer nicht zugelassen sind. Ca 3 - 4 km fahren wir dann gegen die Verkehrsregeln, dann geht die normale Bundesstraße wieder weiter. Nach 2,5 Stunden erreichen wir Bad Hersfeld. Wir fühlen uns nicht wohl und beschließen deshalb gleich weiterzufahren. Ein Blick auf die Karte zeigt uns, dass wir jetzt eine Alternative zur B 27 haben. Wir finden auch den Weg gleich und fahren nunmehr durch das Fuldatal auf einer ruhigen Strecke. Es macht wieder richtigen Spaß Fahrrad zu fahren. Die Kondition ist richtig gut am 5. Tag und wir haben beide keine Schwierigkeiten mehr. Wir spüren beide, daß wir die Tour gut überstehen werden, es gibt keine Konditionsprobleme, keine Sitzprobleme. Die Anfangsschwierig-keiten sind wie weggeblasen. Viel trinken und ausreichend und vorzeitig essen ist wichtig. In einem kleinen Dorf kaufen wir Lebensmittel und Getränke für ein Picknick im Freien ein und suchen uns ein ruhiges Plätzchen.

Unter einem alten Obstbaum finden wir einen guten Sitzplatz für ein wunderbares Mittagessen unter freiem Himmel. Mit gefällt das so gut, dass ich sogar ein kleines Mittagsschläfchen halten kann. Nach der Siesta kehren wir auf die ruhige Strecke zurück und erreichen am späten Nachmittag Fulda. Auf dem großen Domplatz machen wir eine kurze Fotorast und beschließen, außerhalb der Stadt Quartier zu suchen. Auf der Karte suchen wir uns Neuhof aus. Am südlichen Stadtrand von Fulda haben wir zunächst Probleme, die richtige Ausfallstraße zu finden. Stefan's guter Orientierungssinn hat uns bisher immer hervorragend weitergeholfen. Diesmal aber vertut er sich. Ich kann mich mit meiner anderen Meinung nicht durchsetzen und deshalb fahren wir munter in die falsche Richtung. Es geht steil bergauf und Neuhof kommt nicht näher. Nach einiger Zeit erkennen wir beide den Irrtum, die Richtung hat zwar in etwa gestimmt und so fahren wir ein paar Kilometer weiter als notwendig. Kein Beinbruch. In Neuhof fragen wir bei der ersten Gaststätte nach einer Unterkunft. Die Gaststätte ist jedoch geschlossen. Ein hilfsbereiter Autofahrer schickt uns in das Hotel Ebert - Deutsches Haus, das wir auch gleich finden.

In dem schon von außen beachtlichen Bau bekommen wir auch gleich ein Doppelzimmer und eine große, gutbesuchte Gaststätte lädt zum rustikalen Abendessen ein. Wir erreichen das 5. Etappenziel nach 161 km. Nach dem Duschen essen wir deftig zu Abend und füllen die Flüssigkeitsreserven mit Weizenbier auf Ein bisschen Wehmut kommt an diesem Abend schon auf, da uns klar ist, dass die Tour am nächsten Tag zu Ende sein wird. Da wir eine lange Tagesetappe vorhatten, bestellten wir das Frühstück um 7.00 Uhr, um genügend Zeit für das Rhein-Main-Gebiet zu haben.

6. Tag (Mittwoch, 7.8.1996)

Um 6.15 Uhr klingelt der Wecker. Ein letztesmal das allmorgentliche Ritual im gemeinsamen Zimmer. Ein bisschen müde betreten wir die dunkle Gaststätte. Wir sind die ersten Gäste. Ein Blick durch Fenster zeigt ein Novum bei der Tour. Es ist erstmals stark bedeckt und sieht nach Regen aus. Ein kräftiges Frühstück stärkt Leib und Seele für die letzte Etappe. Wir verlassen Neuhof mit dem unübersehbaren Wahrzeichen: einem riesigen Kalihaufen, der die ganze Stadt überragt. Zunächst geht es in Richtung Schlüchtern bergauf. Vor Schlüchtern folgt dann eine lange wunderbare Abfahrt mit einer kilometerlangen leicht nach unten geneigten Straße, die ganz nicht enden will. Wir kommen nun in das Kinzigtal, das sich wunderbar flach bis nach Hanau nach Westen zieht. Zwischen Steinau an der Straße und Salmünster fängt es erstmals auf der Tour zu regnen an. Eine ganz neue Erfahrung. Wir sind gut drauf, die Heimat zieht uns magisch an und wir fahren trotz teilweise starkem Regen flott in Richtung Main-Gebiet. Wir passieren Gelnhausen und rollen immer noch auf flachem Gelände in Richtung Hanau. Eine kurze Pause in einem schönen Kaffee unterbricht die Regenfahrt. Wir fahren danach zwar bei leichtem Regen weiter, doch er hört bald auf. Im der Nähe von Hanau nimmt der Verkehr und die Straßenalternativen wieder stark zu. Wir beschließen, keine Radwege zu benutzen und auf Bundesstraßen weiter zu fahren. In Mühlheim erreichen wir den Main. Ab hier fahren wir am Fluss entlang bis Offenbach.
Es ist gerade Mittagszeit und wenig Verkehr, so dass wir zügig durch Offenbach kommen und dann Frankfurt ansteuern. In der Stadt können wir nun auf Radwegen am Main fahren. Wir sehen die imposante Skyline von Frankfurt, die mir natürlich nicht fremd ist und die ich Stefan ein wenig erkläre. Das Wetter ist inzwischen wieder gut geworden und die Sonne scheint. Am südlichen Mainufer durchqueren wir Frankfurt recht zügig und kommen dann in den Großraum des Flughafens. Hier ist das Radfahren schwierig, da man ausschließlich über Radwege fahren muß und in dem Gewirr von Autobahnüberquerungen, Schotterwegen etc. nicht gut voran kommt. In Kelsterbach essen wir noch eine Kleinigkeit und fahren dann in Richtung Rüsselsheim. Kurz vor Rüsselsheim passierts dann doch. Nach Über 900 km Fahrt ohne Panne reißt an Stefan's Hinterrad eine Speiche. Wir wuchten das Rad notdürftig aus und fahren weiter. Wir passieren Rüsselsheim, Bischofsheim und Gustavsburg und gelangen dann an die Eisenbahnbrücke am Südbahnhof. Jetzt schließt sich der Kreis. Ich habe im Vorfeld immer gedacht, wenn du da einmal bist, hast du's geschafft. Nun ist es soweit und ich bin ein bißchen stolz. Die letzten 15 km bis Zornheim schaffen wir dann auch noch und kommen dort so gegen 18.00 Uhr an. Am Ortschild an der Ebersheimer Straße machen wir das Foto. Unsere Frauen empfangen uns in unserem Garten. Die Tagesetappe ging über 172 km.


Resümee

926 km liegen hinter uns. Wir sind beide glücklich, dass wir es so gut geschafft haben. Meine Skepsis über mein eigenes Leistungsvermögen hat sich nicht bewahrheitet. Natürlich war es anstrengend und die durchschnittlichen Tagesetappen von über 150 km müssen erst einmal gefahren werden. Aber alles in allem bin ich nicht an die Leistungsgrenze gegangen. Wir hätten beide noch Leistungsreserven gehabt für den zweiten Teil bis zum Bodensee. Sei's drum, so haben wir noch ein Ziel für das nächste Jahr. Fahrradfahren auf diese Art ist eine ganz besondere Form des Reisens. Man erlebt ein Land, seine Regionen und landschaftlichen Besonderheiten viel intensiver als im Auto. Deutschland ist ein schönes Land, das ist eine wichtige Erkenntnis der 6 Tage. Die unterschiedlichen Regionen laufen noch einmal am geistigen Auge vorbei. Schleswig-Holstein mit der Ostseeküste und dem ständigen Bück auf das Meer und immer eine frische Briese, saubere kleine Dörfer und Städtchen. Die Lüneburger Heide mit den Backsteinhäusern und Riethdächern und der typischen Heidelandschaft mit verstreuten alten Bauernhäusern, der unmittelbar aus der norddeutschen Tiefebene herausragende Harz mit schönen Wäldern, das westliche Thüringen mit seinen tiefen Tälern, Oberhessen mit seinen schönen Flusstälern und vielen Wäldern, die großen Städte Kiel, Lübeck, Braunschweig und Frankfurt, aber auch die totale Autoinfrastruktur, die zum Teil vollkommen unübersichtlich und für Radfahren schwer zu bewältigen ist. Fahrtechnisch waren die ersten 4 Tage mit den Topradwegen viel besser zu bewältigen als die letzten 2 Tage. Alles gehört jedoch zusammen dazu. Einen hohen Stellenwert für die Bewältigung einer solchen Strecke ist jedoch die sportliche und zwischenmenschliche Harmonie zwischen Stefan und mir. Beides hat trotz des großen Altersunterschiedes gut geklappt. Jeder hatte Gelegenheit, den anderen zu unterstützen und aufzubauen, wenn es einmal nicht so gut lief. Aber auch die Freude und der Spaß über dieses tolle gemeinsame Hobby haben eine gute Stimmung zwischen uns hervorgerufen. Wir sind gute Freunde geworden und freuen uns auf die Fortsetzung der Tour.